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Picco's Blick aufs gemeinsame Essen - eine Art Jahresschlussbetrachtung Mein Mensch plant das alljährliche Weihnachtsmenü; für mich ist das überflüssiger Luxus, Schnickschnack für Leute wie sie, die ja sonst keine Sorgen haben. Sie betreibt diese Planung wie große Kunst. Mein Mensch meint, dass sie sich nicht zu gut ernähren kann. Das gilt für die Qualität der Rohstoffe ebenso wie für den Rahmen, in dem wir sie verzehren. Sie sei ja angeblich von der Natur darauf programmiert, alles, was für ihr Überleben wichtig ist, so schön zu gestalten, wie sie kann. Das gilt für ihre Wohnung, Kleidung, ihren charmanten schwarzen Zweisitzer und ist Ausdruck ihrer Persönlichkeit. “Aber”, frage ich meinen Mensch “Wenn gutes Essen quasi ein Befehl deiner Gene ist, warum behaupten so viele deiner Zeitgenossen, sie wären dauerhaft mit irgendwas Fettigem aus der Frittenbude zufrieden? Ihr seid doch alle aus dem gleichen Ozean gekrochen.” Mein Mensch blickt mich verblüfft an: “Entweder sie vernachlässigen ihre Ernährung aus materieller Not oder aus Selbstverachtung. Oder sie sind gezwungen, sich dauerhaft in einer schlechten, unerfreulichen Umgebung aufzuhalten, das ist genauso gegen die Natur wie schlechtes Essen. Mit dem Beharren auf minderwertigen Lebensmitteln erschaffen sich Menschen als ein negatives Gesamtkunstwerk.” Ich kontere frech: “Also könnte ich einen lmbissbudenbetreiber, der ein mit sahniger Metaxasauce überbackenes Gyros mit Pommes in der Pappschachtel verhökert, ja auch als Kunsthändler bezeichnen?” “Klar,” sagt mein Mensch, “so gesehen schon - kluges Bärchen!” Vor meinem geistigen Auge erscheint ein Bild: “Rund um Döner- oder Weihnachtsmarkt-Buden sehe ich Menschen, die mit heißen Essen in der Hand kauend und schlingend im Kreis laufen. Woher kommt das? Eure urzeitliche Angst vor Fressfeinden? Ihr lauft doch im Geiste immer noch ums Lagerfeuer herum. Eure Vorfahren haben ihre Beute ins Feuer gelegt, gewartet, bis sie gar ist und dann begann der Streit ums beste Stück. Wer seinen Brocken ergattert hatte, entfernte sich, damit er ihm nicht aus der Hand gerissen wird. Er durfte sich aber nicht zu weit entfernen - abseits des Lagerfeuers lauerte die Gefahr, selbst zur Beute zu werden. Dieses Dilemma legt es nahe, eine kreisförmige Bahn um das Lagerfeuer zu ziehen.” Ich muss lachen. Und mein Mensch stimmt laut lachend ein: “Viele Imbissbuden-Gäste pusten wie versessen auf ihr Essen, um es möglichst schnell verschlingen zu können, immer in der Gefahr, sich zu verbrennen oder zu verschlucken!” “Ja”, stimme ich ein, “und manchmal treten sie von einem Fuß auf den anderen oder hüpfen, um sich während des Schlingens von den Verbrennungsschmerzen im Mundraum abzulenken. Warum?” frage ich heuchlerisch. “Picco!” lacht mein Mensch wieder und öffnet unserem Gespräch geschuldet einen 2013er Dom “du scheinst erfreulich viel Zeit mit Beobachtungen zu verbringen! Aber du hast ja Zeit.” sagt sie spitzfindig. “Das Heranschaffen von Nahrung, das Zubereiten von Essen war schon immer ein sozialer Akt für uns, durch gemeinsame Mahlzeiten festigten wir den Zusammenhalt. Das wichtigste Ritual des Christentums zum Beispiel ist das gemeinsame feierliche Aufessen des einzigen Gottes!” Mein Mensch kichert. Ah, denke ich, Weihnachten, der Kreis schließt sich. Mein Glas ist wohl gefüllt, die getrüffelten Gougèren duften verführerisch “Klar”, brumme ich friedlich, “und der einsame Esser in der Frittenbude erlebt zur schlechten Nahrung den Mangel an Ge-meinschaft und Ästhetik. So soll man nicht essen, das ist nicht die Natur. Vielleicht geht es darum, diese Demütigung möglichst schnell hinter sich zu bringen?” Mein Mensch blickt mitfühlend drein: “Essen allein, im Stehen, ohne Geschirr - ist das nicht würdeloses Schlingen, Ausdruck großer Enttäuschung, inhaltlich wie ästhetisch? Das zu vermeiden, sind übrigens die Tischsitten erfunden worden. Mit der Fähigkeit, gut und kultiviert zu essen, hat uns die Evolution schließlich eine Quelle der Lust vor die Füße gelegt, die quasi unerschöpflich ist.” “Da hast du vielleicht so manchem ganz schön Mut zugesprochen, der sich Sorgen macht, er würde zu häufig über seine Vorratskammer, seinen Herd oder die nächste Mahlzeit nachdenken - so wie du.” “Oh, sagt sie, “ein Mensch, der ständig ans Essen denkt, ist absolut in der richtigen Spur. Regelmäßiges gemeinsames Jagen, Essen und danach Feiern baut emotionale Bindungen auf, schweißt eine Gruppe zusammen und macht sie schwerer verletzlich.” Mir ist so behaglich und ich raune meinem Mensch zu: “Lass uns was Schönes zum Champagner essen, ich decke das Meissener Royal Palace und wir schweißen uns noch weiter zusammen…” |
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